Falsche Verantwortung übernehmen
Das Rechtmachen hat wirklich so seine Tücken. Mir, Odette, ist es noch nie in den Sinn gekommen, das Rechtmachen auch bedeutet zu viel oder falsche Verantwortung zu übernehmen. Ich lasse Dich teilhaben, an einem sehr offenen und ehrlichen Dialog mit meiner Patientin Clara.
„Es geht Dir schlecht? Du schaffst es nicht die Verantwortung für Dein Leben zu übernehmen? Gar kein Problem ich mache das für Dich. Ich halte das, nur damit ich in Verbindung mit Dir bin.“ So ungefähr war der Dialog meiner Patientin Clara und ihrer Mutter
Sie hat bis jetzt am Rechtmachen unbewusst gelitten, bis sie in unserer Sitzung das Thema auf Verantwortung zu sprechen kam. Das war ihr Jackpot.
Clara wird bewusst: Wenn ich für Dich Verantwortung übernehme, reicht es nicht mehr für mich. Ich habe meine Verantwortung all die Jahre vernachlässigt. Ich habe mich vernachlässigt. Ich habe mich nicht stark gemacht, meinen Platz und Raum einzunehmen, damit ich die tolle, bunte, lebendige Frau bin. Ich habe nach meiner Mutter geschaut, nach meinen Partnern geschaut, damit die Verbindung bleibt, damit die Sicherheit vorhanden ist.
Aus ihrer Beschreibung wird ganz klar: Die Basis unseres Seins ist Sicherheit. Zuerst brauchen wir eine sichere Bindung bevor wir in die Welt hinaus gehen. Wir brauchen Zugehörigkeit bevor wir neugierig erkunden, lernen, ausprobieren.
Clara erkennt: Mann, ist das doof. Ich komme nicht wirklich vom Fleck, wenn die Basis nicht stimmt. Wie soll ich meinen Platz einnehmen, wenn keine stabile Beziehung vorhanden ist? Und die einzige, stabile Beziehung, die ich vorweisen kann bin ICH.
Na, und die habe ich vernachlässigt für andere. SUPER brüllt der ganze Schmerz. SUPER Scheiße. Ich habe mich so angestrengt, auch wenn ich nicht mehr konnte. Mein Partner hat gar keine Hemmung zu sagen: „Ich kann das nicht“, wenn ich mir etwas von ihm wünsche.
Was für ein legitimer Satz. Was mache ich? Aus lauter Angst, dass die Verbindung abbricht, strenge ich mich an, reflektiere, denke, suche Lösungen, analysiere, rede, erkläre. Ich werde uns beiden nicht gerecht. Wieviel Angst macht es mir, ihn einfach da zu lassen, wo er gerade steht. Wieviel Angst habe ich vor dem Beziehungsaus.
Ich ziehe an ihm herum, und hier ist STOP.
Clara schließt einen Vertrag mit sich selbst: Ab heute beginne ich, mich selbst in den Arm zu nehmen und mich lieb zu haben. Ich spreche meine Wahrheit und sage, was ICH brauche.
Odette zu Clara: Was brauchst Du?
Oh je, ok. Ich versuche es zu formulieren. Ich brauche, wie schwer das ist, nur das zu sagen. Ich brauche, mehr Raum zum Erzählen mit meinem Mann. Ich brauche mehr Umarmungen. Ich brauche Zeit für mich. Ich habe mich nicht getraut zu sagen, ich kann nicht mehr. Ich brauche mehr Grenzen. Diese Hülle um mich herum ist zu eng. Ich bekomme keine Luft. Zu fühlen, wie ich mich abmühe für ein bisschen Zuneigung. Auuaaa.
Sie weint.
Clara nimmt all ihren Mut zusammen und sagt: Ich höre mit dem Rechtmachen auf. Ich habe keine Ahnung welche Konsequenzen, das haben wird insbesondere bei meinem Mann oder meiner Mutter. Ich mag mich selber nicht mehr aufgeben. Es ist eine wahnsinnig schwierige Aufgabe ihn zu lassen und nichts Beschwichtigendes zu sagen, damit ich mich nicht schuldig fühle, dass es ihm schlecht geht. Ich brauche meine Kapazität für unseren Sohn und für mich, und selbst da hapert es auch noch.
Clara schaut mir in die Augen und ihr wird klar: Ich kann ihm gar keinen Vorwurf machen. Wenn ich aufhören würde, mich so verantwortlich für ihn zu fühlen, dann??? Ich habe keine Ahnung, wie er sich dann verhalten würde. Ich habe so viel ausgehalten und jetzt komme ich mir ganz komisch vor. Irgendwie weiß ich gar nicht wer ich bin. Und auch nicht wer er ist.
Odette erklärt: Tatsächlich beeinflussen wir mit unserem Rechtmachen massiv unsere Beziehungen. Ich erlebe oft, wenn ein Mensch mit dem Fawnen aufhört, ist es oft ein Schock für das Gegenüber. Beide müssen sich neu justieren. Das braucht Zeit und Selbstfürsorge. Es ist ein echtes Abenteuer für beide Erwachsene sich aus der Geschenkpapierhülle zu befreien. Für viele Paare ist das ein Neuanfang.
Bei Kindern erlebe ich es anders. Sie sind erleichtert, wenn die Eltern sich authentischer verhalten und mehr Entspannung im Familienleben Einzug hält.
Sich mit diesem Thema auseinander zu setzen hat für viele Patienten eine tolle Veränderung bewirkt.
Ich hoffe, für Dich auch.
Herzlich
Deine Odette