Rechtmachen: eine Traumareaktion?

Liebe(r),

dies ist der schwierigste und beste Blog, den ich bisher geschrieben habe: über das Rechtmachen. Ich habe nicht viel darüber nachgedacht. Ja, das kommt vor, das ist ja nicht so schlimm. Passiert einfach. Aber:

Ich habe mich auf die Reise gemacht in meine/Deine Vergangenheit, um dieses Thema genauer beäugen und zu erforschen. Es war ein echter Gamechanger für mein Leben. Nie war mir die Wucht, das Ausmaß von Rechtmachen bewusst.

Als Kind haben wir das Bedürfnis es recht zu machen, wenn die Bindung nicht stabil und sicher ist, wie wir es brauchen. Das Kind beginnt abzuchecken, wie es die Aufmerksamkeit, die Bestätigung der Familie bekommt. Es entwickelt eine Strategie, wie es am meisten Verbindung selber herstellen kann.

Die meisten Kinder und später Erwachsene fühlen sich ungenügend und zu viel.

Es können sehr unterschiedliche Handlungen sein:

  • Manche Kinder helfen besonders viel mit. Sie funktionieren und sind belastbar. Sie werden zu einer Art Held, der „alles“ meistern kann.
  • Manche Kinder sind freundlich und sonnig. Sie halten die Stimmung der Familie oben. Oft werden sie als Sonnenscheinchen der Familie bezeichnet. Es geht ihnen so gut wie immer gut. Sie haben nichts und brauchen nichts. (Es gibt natürlich auch echte, ungefawnte Sonnenscheine).
  • Manche Kinder versuchen die Probleme der Familie zu lösen, lindern, auffangen: Die Familien-Retter sozusagen oder Familienpsychologen. Kinder haben ein großes Bedürfnis, dass es den Eltern gut geht. Die Verbindung ist sicher, wenn wir Eltern stabil sind. Wenn Eltern dauerhaft überfordert oder hilflos sind, springen manche Kinder in die Erwachsenenrolle, um den Elternteil zu retten. So kann ein toxischer Rollenwechsel entstehen.
  • Manche Kinder wollen die Eltern nicht belasten, weil es eh schon so viel Streit gibt oder so viel Arbeit. Diese Kinder werden oft sehr still und machen alles mit.
  • Wenn das Familienmitglied verletzt, enttäuscht, aggressiv wird, fangen meist Teenager an sich zu rechtfertigen, Erklärungen finden, um das Gegenüber zu deeskalieren. Sie möchten beweisen, wie sehr man es doch versucht hat richtig zu machen oder wie gut gemeint etc. Leider gibt es oft endlos Streit, weil der Erwachsene gar nicht an einer konstruktiven Lösung interessiert ist, sondern im Fight feststeckt.
  • Manche Kinder lernen auszuhalten, wenn es gefährlich wird. Sie kneifen die Pobacken zusammen, und warten bis der Sturm vorüber ist. Oft sagen sich die Kinder dann, dass es ja nicht so schlimm war. Realitätsverzerrung, um mit der Familie weiterleben zu können. Leider verliert das Kind in einigen Bereichen das Gefühl, was es selber braucht, da die Intension nur auf das Aushalten gerichtet ist. Dieses angelernte Verhalten bleibt meist bis ins Erwachsenenalter erhalten.

Aus dem Wunsch/Not gesehen zu werden/sich verbunden zu fühlen, übernehmen sie in manchen Bereichen Verantwortung für Familienmitglieder. Diese Handlungen in der Summe ergeben ein Entwicklungs-/Bindungstrauma. Wichtig zu verstehen: Es ist die SUMME der Erfahrungen, die ein Trauma entstehen lassen. Wenn es immer und immer wieder passiert, ist die Bindung beeinträchtigt. Das Kind lebt in einem ständigen Mangel.

Was bedeutet das für die Entwicklung?
Selbstwert, Selbstbewusstsein, Selbstliebe: das Selbst ist durch die angelernte Fawning-Strategie angeschlagen. Das Kind hatte weniger Gelegenheit einfach nur es selbst zu sein. Der Fokus lag mehr im Außen, so dass die Selbst-Beziehung nicht gut gefestigt werden konnte. Zum Glück reversible! Man kann es wieder lernen. Es ist ein angelerntes Verhaltensmuster, dass Du mit Nervensystem- und Bewusstseinsarbeit leicht verändern kannst.

In meiner Familie kam das Retten am besten an und deshalb habe ich diese Strategie gut verinnerlicht. Ich wollte meine Familie retten, damit sie endlich Zeit für mich hat. Damit sie endlich mir Aufmerksamkeit schenkt. Damit sie endlich mich sieht. Es war sehr schmerzhaft und heilsam gleichzeitig, mich an meine Muster zu erinnern und sie mit wachen Augen zu verändern. Es fühlt sich soooo gut an. Ich kann es nur empfehlen. Ich habe so viel Energie und Kraft, Selbstermächtigung gewonnen. Es ist eine echte Befreiung.

Klar, manchmal erwischt mich meine Gewohnheit. Das sind gut trainierte Verhaltensweisen, aber seitdem ich begriffen habe, wie das Muster funktioniert, hole ich mich auch schnell wieder raus.

Ich hoffe, dass dieser Blog Dich unterstützt noch mehr in Deine Kraft und Echtheit zu gelangen.

Melde Dich gerne, wenn Du Unterstützung haben willst.

Herzlich

Odette